„Seinem Schicksale kann niemand entgehen!”

Manöverskizze von Ralph v. Rawitz
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 30.08.1903
in: „Agramer Zeitung” vom 27.08.1903


Unterofficier Stoßmeyer von der fünften Escadron des rothen Hußaren-Regiments machte die Runde bei den Herren Offizieren, ehe er aus dem heutigen Manöverquartier in das für morgen und übermorgen abritt, um sich nach den Befehlen seiner Vorgesetzten zu erkundigen. Beim Rittmeister ging sein Besuch am schnellsten vor sich. Der Gestrenge strich sich den kurzen Vollbart und sagte nur: „Also wie immer, Stoßmeyer, erst das Vieh, dann der Mensch! Vor allem gute Ställe, nicht dumpfig, nicht zu kurz. Dem Wachtmeister seine „Viola” hat sich gestern in Marzahne den Schweif gescheuert, weil der Stall zu kurz war. Das ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Sodann die Leute. Erkundigen Sie sich, ob eine Krankheit im Dorf herrscht. Solche Häuser bleiben natürlich unbesetzt. Sonst ist nichts — danke!”

Etwas länger war der Discurs bei den beiden Lieutenants. Graf Drachwitz hatte einen förmlichen Wunschzettel von alledem, was sein sollte und was nicht sein sollte, aufgestellt, der in dem Wort: „Hochherrschaftlich, womöglich Rittergut” gipfelte. Lieutenant Berger dagegen zählte sämmtliche Mängel auf, die er in den bisherigen Quartieren entdeckt hatte und endete in der Vermahnung, endlich einmal ein anständiges Logis, möglichst mit Bade-Einrichtung, zu besorgen.

Der letzte Besuch, den Stoßmeyer seufzend antrat, galt dem Oberlieutenant der Escadron, dem Baron Sommerfeldt. Der Unterofficier fand den Officier hinter dem Garten seines Quartier-Wirthes im Schatten einer Strohmiete liegend, und den „Fircks” [ein bekanntes Taschenbuch für Officiere] studirend. Hin und wieder betrachtete der Lieutenant durch sein goldrandiges Monocle die hübsche märkische Landschaft, und zuweilen bedräute er mit einer langen Gerte den frechen Hahn, der sich mit besonderer Zudringlichkeit in seiner Nähe bewegte.

„Aha — Sie sind es, Meyer des Stoßes! Treten Sie näher, Jüngling von Athen in der Attila! Sie reiten nach Wutzdorf ab, was?”

„Zu Befehl, Herr Oberlieutenant!”

„Na, ja! Sie kennen ja meine Ansichten. Ein anständiger Stall für meine Gäule und für mich ein Tusculum! Verstanden?&rdquo,

„Zu Befehl, Herr Oberlieutenant!”

„So? Na, dann sagen Sie mir 'mal, was ist denn das, ein Tusculum?”

„Nich' auf'm Gut, Herr Oberlieutenant; da, wo's grün ist.”

„Richtig, Stoßmeyer! Um des Himmelswillen auf kein Gut oder sonst wo hin, wo Unterröcke sind. Am liebsten auf'n Ausbau hinterm Wald, wo frische Luft ist und wo ich in Schmierstiefeln bleiben kann. Das wäre alles.”

Er nickte, der Unterofficier machte sporenklirrend kehrt, und ging. Der Baron aber gab dem frechen Hahn einen Klapps, so daß dieser keuchend davonstob, und vertiefte sich dann in Abschnitt VIII, A 7, „Waffengebrauch im Belagerungszustand”, des geliebten Taschenbuches.

Vier Stunden später schritt Unterofficier Stoßmeyer mit der ihm angeborenen Würde, — er war nämlich für einen Hußaren etwas corpulent und konnte nicht jeden Gaul des Gewichtes halber reiten, weshalb der Escadronchef ihn auch gern zu solchen Aufträgen, wie das Quartiermachen, verwendete, — über den Gutshof in Wutzdorf. Oben im Gartenzimmer aber fand eine Besprechung zwischen dem Gutsinspector Bergmann und den Töchtern des Hauses statt.

„Es ist fatal, Bergmann, daß die Hußaren gerade jetzt kommen, wo Papa und Mama weg sind. Aber es geht doch nicht anders. Mama kann ihre Nachcur in Heiligendamm nicht gut unterbrechen, und ebensowenig der Papa den Proceß in Berlin vertagen lassen. Nun müssen wir drei schon die Mühe auf uns nehmen, Hermine, Sie und ich.”

Die solche Worte sprach, war das ältere Fräulein von Gantikow, eine hübsche schlanke Blondine, aus deren Augen ein vergnügter Sinn und Lebenslust sprach. Hermine, die jüngere, zeigte sich dagegen gemessener und ernsthafter, obwohl sie auch hin und wieder ihrem lebhaften Temperament die Zügel schießen ließ.

„Wie machen wir es also,Bergmann,” fragte sie nun, den Blick auf die Liste gerichtet, die der Unterofficier dem Inspector ausgehändigt hatte. „Wie vertheilen wir die Schwadron?”

„Ich denke, wie vor zwei Jahren, gnädiges Fräulein! Die Herren Officiere und ein Zug auf das Gut, zwei Züge ins Dorf, den Wachtmeister zum Cantor, der letzte Zug auf den Ausbau. Und der eine Herr Lieutenant, der partout nicht aufs Gut will, kann ja dann auch dahin.”

„Das ist leicht gesagt, Bergmann,” fiel nun Fräulein Grethe von Gantikow ein, „aber doch nicht so leicht gethan! Der eine Lieutenant, meine ich, der absolut nicht aufs Gut will! Möchte wohl wissen, warum?”

„Er hat vielleicht Trauer,” sagte Bergmann.

„Oder er ist ein Misogyn,” bemerkte Hermine.

„Gleichviel — schließlich ist es ja seine Sache! Aber wie ihn auf dem Ausbau unterbringen?”

„Der Verwalter Brendicke hat doch ganz schöne Stuben!”

„Stuben wohl — aber das Essen! Was Brendicke sich von der alten Lise zusammenschmoren läßt, das kann man doch dem — wie heißt er? — dem Baron Sommerfeldt vom rothen Hußaren-Regiment nicht anbieten.”

Bergmann kraute verlegen den grauen Kopf, und Grethe und Hermine sahen sich nachdenklich an.

„Wenn man ihm die Mahlzeiten immer herausschickte?” sagte Hermine endlich; „es sind ja nur anderthalb Tage, von Morgen Nachmittag bis Sonntag Abend. Wer seine Besonderheiten hat, muß schließlich mit einigen Unbequemlichkeiten vorlieb nehmen.”

Grethe schüttelte den Kopf.

„Nein, Minchen, das geht nicht.Der Baron würde alles kalt bekommen, man fährt bis zum Vorwerk gute 20 Minuten. Aber etwas Anderes. — Wie wäre es, wenn Du hier die Honneurs allein machtest, und ich auf dem Vorwerk?”

„Aber Grethe!”

„Weshalb nicht? Hast Du etwa Angst, allein zu repräsentiren? Dann hättest Du die Pension bei der guten Madame Larivière in Berlin sparen können!”

„Ich und Angst? O Gott, Grethe, Meinethalben kann ein ganzes Husaren-Regiment zu uns ins Quartier kommen; ich werde doch mit den Herren fertig. Das war ein Haupttrik der guten Larivière. Wir wurden in ein Zimmer geführt, in dem zwölf oder fünfzehn Stühle standen. Jeden Stuhl stellte sie uns mit einem Namen vor. Baron A., Graf B., Geheimrath C., Minister D. u. s. w. Und dann mußten wir mit jedem dieser Herren eine flüssige Conversation führen, wobei sie die Antworten gab. Das war manchesmal nicht ganz leicht, und einmal habe ich sogar, obwohl ich doch die Gewandteste war, fehlgegriffen. Die Larivière sagte nämlich: Dieser Lehnstuhl ist der König von Portugal. Und als ich da etwas besonders Höfliches sagen wollte, da kam sie rein aus dem Häuschen: „Mademoiselle, ich bitte sehrrr! Majestäten werden nicht angesprochen! Abwarten! Hofknix! Noch mal abwarten!” Hermine copirte bei diesen Worten die alte Französin aus der Keith-Straße in Berlin, von der Hermines Vater, der Oberst a. D. von Gantikow, immer boshaft bemerkte, sie gleiche jener berühmten Aebtissin in Chaucers „Canterbury-Geschichten”, von der es heißt:

„Sie stets höchst lieblich durch die Nase sang;
Französisch sprach sie auch mit feinem Klang,
Wie man's zu Stratford auf der Schule spricht;
Französisch von Paris — verstand sie nicht.”

Grethe kannte die Erzählung ihrer Schwester zur Genüge und benutzte die Erwiderungen für ihre Zwecke.

„Nun also, Minchen, desto besser, wenn Du mit Deinen drei Officieren fertig wirst! Sehr viel wird es ja auch nicht sein. Du präsidirst der Tafel, spielst ihnen Abends im Salon den einzigen Chopin, den du kannst, vor und damit genug. Was mich aber betrifft, so gelte ich für verreist — verstanden, Mine? Capito, Bergmann? Und in Wirklichkeit übersiedele ich heute Abends auf das Vorwerk nebst den nöthigen Töpfen, Bratpfannen et cetera. Die alte Liese wird mir dort zur Hand gehen, und der Baron soll in seinem ländlichen Idyll nichts von Entbehrungen zu spüren haben.”

„Aber, Grethe — das geht doch nicht — — das geht doch wirklich nicht!”

„Weshalb denn nicht? Glaubst Du etwa, ich werde mich ihm vorstellen und etwa sagen: In mir sehen Sie Margarethe, Adelheide, Anna, Sybille von Gantikow, älteste Tochter des Oberst a. D. und Rittergutsbesitzers von Gantikow? — No, my darling — kein Gedanke! In meinem blauen Kattunkleidchen werde ich ganz im Hintergrunde verharren, schmoren und braten und dabei beobachten, was dieser Herr von Sommerfeldt für ein Patron ist.”

Bergmann und Hermine machten zwar allerlei Einwände, aber Grethe war gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen, und so blieb es bei ihrem Entscheid.

Baron Sommerfeldt machte ein sehr behagliches Gesicht, als er am nächsten Mittag beim Einmarsch in Gut Wutzdorf erfuhr, daß er weiblichen Gefahren entflohen sei und auf dem Vorwerk liege.

„Der Herr Oberst auf dem Gut hat zwei Töchter, eine ist aber verreist; und der Herr Pfarrer hat auch eine, da war auch kein Tuschkulum. Da habe ich den Ausbau für den Herrn Oberlieutenant genommen.”

„Gut, Stoßmeyer! Sie verdienen eine Prämie!” Und der Officier reichte dem Quartiermacher eine gute Cigarre aus dem Lederetui, das neben der Generalstabskarte in der Packtasche schaukelte.

Auf dem Vorwerk hinter dem Walde gefiel es Sommerfeldt ausnehmend. Die Ställe waren groß und luftig, seine Zimmer waren einfach, aber sauber, das Essen sogar hervorragend, und der Blick über die Niederung und das Becke-Thal allerliebst. Sinnend saß er gegen Abend, als drüben über dem Forst der volle Mond im rothen Dämmerschein aufstieg, vor der Thür seines Häuschens und ergötzte sich an der Ruhe der Natur. In diesem Gefühl stiller Befriedigung gönnte er sogar einen gnädigen Blick dem sauber gekleideten Mädchen, das ein großes Glas Milch vor ihm hinstellte.

„Wir haben kein Bier hier draußen, Herr Lieutenant.”

„Wer sagt Ihnen, mein Kind, daß ich Bier möchte? Milch ist mir viel lieber. Ist wohl frisch gemolken, was?” Dabei klemmte er das Monocle ein und sah sie prüfend von oben bis unten an: „Sie sind wohl nicht von hier?”

„Ich bin aus der Stadt, Herr Lieutenant.”

„Und wie kommen Sie denn hier her? Wohl die Wirthschaft lernen, was? Können sie in der Stadt doch auch, sollt' ich meinen!”

„Ach ja! Aber hier draußen ist's schön!”

„So? Finden Sie das? Was gefällt Ihnen denn hier so?”

„Alles! Wald und Feld, Thiere und Menschen. Die Menschen sind hier besser als in der Stadt.”

Sommerfeldt nickte zustimmend mit dem Kopf: „Na, vernünft'ge Ansicht! In der Stadt sind die Menschen oft verschroben. Namentlich das Weibsvolk.”

„Ach — die Frauen — es ist ja schlimm, daß ich das sage, ich bin ja auch eine! Aber die sind überall schlecht. Auch auf dem Lande.”

Sommerfeldt brummte beifällig. Aber ein wenig regte sich doch in ihm der Cavalier selbst dieser ländlichen Schönheit gegenüber, und so sagte er einschränkend: „Na — na!”

„Ja gewiß, Herr Lieutenant! Da sind schon unsere Gutsfräulein, es sind ihrer zwei. Die eine, jüngere — Hermine heißt sie — mag noch gehen; aber die ältere — die ist schrecklich. Der Herr Lieutenant haben wohl auch von ihr schon gehört?”

„Nee! Wieso?”

„Weil Herr Lieutenant nicht auf dem Gut sich haben einquartieren lassen, wie die anderen Herren Officiere.”

„Ach so! Ja, ich mag den Trubel nicht; ich bin auch für's Stille. Was ist denn das für eine Person, die ältere?”

„Sie ist schon ziemlich alt und sehr häßlich. Große gelbe Zähne hat sie und beinahe graues Haar. Aber die Heiratsgedanken hat sie noch immer nicht aufgegeben, und wenn Einquartierung kommt, wie vor zwei jahren, dann schminkt sie sich, damit die Herren Lieutenants sie recht interessant finden.”

„Gotts Donnerwetter, so eine alte Scharteke! Na, dann bin ich hier lieber auf dem Vorwerk.”

Er sah sie freundlich an, und sie empfahl sich mit einem ländlichen Knix. — Der nächste Tag verfloß schnell: Morgens ließ Sommerfeldt seinen Zug zum Pferdeappell antreten, dann schlenderte er durch Haus und Hof und beobachtete im Stillen das emsige Walten des Wirthschaftsfräuleins, die über all nach dem rechten sah und eifrig am Herd und im Stall Hand anlegte.

„Ein ganz vernünftiges Frauenzimmer,” sagte er zu dem alten Verwalter Brandicke, der nur lächelnd den Kopf hin und herwiegte, und in seinem Innern fügte er hinzu: „Warum können nicht unsere höheren Töchter so nett sein? Alles spielt Pianoforte, liest Romane und denkt, die Wespentaille macht es. Und davor soll mich der liebe Himmel bewahren.”

Am Montag früh rückte die Schwadron weiter. Sommerfeldt ging — ein für ihn unerhörter Vorfall — noch einmal in die Küche, um sich bei seiner Wirthin zu bedanken. Sie sah zu niedlich aus, in dem Kattunröckchen, die Aermel hoch aufgeschlagen, das Gesicht vom Feuer geröthet.

„Adieu, liebes Fräulein!”

„Adieu, Herr Lieutenant.”

Und er konnte dieses Bild das ganze Manöver hindurch, das noch drei Wochen dauerte, und ihn in zwanzig verschiedene Quartiere führte, nicht vergessen, so daß er sich schließlich selbst Vorwürfe machte.

*           *           *

„Was soll die Geschichte, Otto?! Ist ja doch unmöglich, selbst wenn Du den unglaublichen Schritt thun wolltest, Deine Freiheit zum Opfer zu bringen. Unsinn!”

Und aus dieder Gesinnung heraus sagte er an einem Nachmittag, als man auf dem Rückmarsch vom Manöver nach der Garnison wieder nach Wutzdorf ins Quartier kommen sollte, zum Unterofficier Stoßmayer folgendes:

„Ja, mein Lieber — morgen also Wutzdorf! Diesmal mache ich aber eine Ausnahme. Ich will nicht aufs Vorwerk, sondern 'mal aufs Gut selbst, und auf den Ausbau können sie, da von den Herren Officieren doch wohl keiner Lust haben wird, den Sergeant Kunze legen. Kunze ist verheiratet, nicht wahr? Na ja, der wird sich dort wohl fühlen.”

Und so ritt er ahnungslos in den Gutshof ein, an der Fontäne vorüber, die ein schelmischer Eros mit Pfeil und Bogen krönte, das Gesicht heiter und lächelnd, als wollte er dem Husaren-Lieutenant zurufen:

„Seinem Schicksal kann niemand entgehen!”

— — —